Glashagen in Wossidlo´s Sagensammlung

Herzstück des Nachlasses von Richard Wossidlo ist ein Feldforschungsarchiv, eine zwei Millionen Belege umfassende Zettelsammlung. Das von 1883 bis 1939 mit mehreren hundert Helfern aus vielen Regionen Mecklenburgs zusammen getragene Archiv dokumentiert in territorialer Geschlossenheit und systematischer Ordnung Bräuche, Volkserzählungen (Sagen, Legenden, Märchen, Schwänke, Sprichwörter, Redensarten usw.) und Volkslieder, die Bereiche des Volksglaubens und der Volksmedizin.

In der angestrebten Vollkommenheit erfasst die Sammlung Flurnamen, Beobachtungen über das Tier-und Pflanzenleben, gibt Hinweise über Nahrungs-, Kleidungs- und Wohnformen, das Arbeitsleben und Arbeitsgerät der Bauern und Tagelöhner. Untersucht wurde auch ein weiterer Teil der mecklenburgischen Bevölkerung, die Seefahrer, Fischer und Handwerker, das Kinderleben und anderes mehr. Eine Fundgrube der Volkskunde zunächst in Form einer Zettelsammlung aufgehoben und für die Nachwelt bewahrt. Schon zu Lebzeiten Wossidlos sind von ihm und anderen bis heute eine Reihe von Büchern zum Thema erschienen und weitere werden sicher noch folgen, ist doch seit Jahren eine wissenschaftliche Aufarbeitung im gange.

Richard Wossidlo (1859/1939) gibt 1939 am Ende seines Lebens u.a. zwei Bände „Mecklenburgische Sagen “ heraus. Damit ordnet er das reichhaltige Angebot an seinerzeit noch recht populären mecklenburgischen Sagen und erweitert gleichzeitig die vielen Sagensammlungen, die im deutschsprachigen Raum bereits geschrieben sind, um eine weitere. Er teilt sie in Themengruppen auf und läßt seine Gesprächspartner ihre Variante zu einem dieser Themen berichten. Der Leser kann nun die Interpretationen der einzelnen Ortschaften vergleichen. Es entstehen immer auch einige Gemeinsamkeiten, die den Eindruck der Wahrhaftigkeit einer Sage stärken.

Wossidlo erklärte dazu, daß in den 1880er Jahren der Glaube und die Weitergabe übersinnlicher Erscheinungen, wie die Sagen es sind, in der Bevölkerung noch fest verankert war. Ähnlich, wie bei den Flurnamen waren auch hier die Überlieferungen zu ein und demselben Thema landesweit bekannt, allerdings von Ort zu Ort verschieden interpretiert. Noch im 19. Jahrhundert zweifelten nur Wenige an den Geschichten überhaupt. So ging es beimWaul“ um wild galoppierende Pferde und geheimnisvolle Reiter (auch Jäger), die allein oder in Gesellschaft einer Hundemeute durchs Land zogen und so schnell wie sie gekommen waren auch wieder verschwanden. Vielleicht liegt diesen Phantasien eine Wettererscheinung zugrunde die besonders im Hochsommer zu beobachten ist. Bei relativ ruhiger stabiler Wetterlage treten thermisch bedingt kurzfristig einzelne Böen auf, deren Ursache man sich früher (übrigens auch heute) nicht erklären konnte. Wenn sie dann noch mit Geräusch verbunden waren oder sogar loses Stroh o.ä. mit sich trugen, erlebte man durch Erzählungen vorgewarnt, wohl manchmal das, was man erleben wollte.

Aus den in diesen Büchern genannten ca. 1500 von Richard Wossidlo gesammelten Sagen erscheint im Abschnitt “ Von der Wilden Jagd“ (ebendem Waul) ein Beitrag zu unserem Dorf:

Hier nun die Version zum Waul in Glashagen: Oft zieht die wilde Jagd mitten durch die Bauernhäuser hindurch: De Ollen säden: Wo de Will Jagd ehren Gang dörch hadd, dor güng se mitten dörch de Hüser. – De Ollen säden: de Waur is hier dwaß dörch Köpken sien Hus.- Mitunner is de Waul, wenn hei in Buerhus inkihrt is, dörch de Ulenfast wedder dörchtreckt un so verswunnen.- Mien Großvadder hürte in Dörp=Glashagen tohus up des Schultenstäd. He säd`: sien Mudder harr de Garrerdör apen maakt, dat de Waul dörchkamen künn. Se hett sich dor wider nicks bi dacht. Se hett sich an de siet stellt und an´n Füerhierd stahn – se hett ungefiehr de Tiet wüßt, wennihr de Waul kamen is. Denn is de Waul an ehr vörbie fohrt – naher hett se de Döör wedder tomakt. Se hett dat bloß hürt , nich sehn. (Qu.: Ein Alter in Doberan 1929) [51 Band. 1; Nr.44]

Transkript: Die Alten sagten: Wo die Wilde Jagd ihren Gang durch gehabt hat, da ging sie mitten durch die Häuser. – Die Alten sagten: der Waur ist hier quer durch Köpke sein Haus. – Mitunter ist der Waul, wenn er ins Bauernhaus einkehrt, durch das Eulenloch wieder durchgezogen und verschwunden. Mein Großvater gehörte ins Dorf Glashagen nach hause auf die Schulzen, (Bürgermeister)-stelle. Er sagte: Seine Mutter hatte die Gattertür auf gemacht, daß der Waul durchkommen konnte. Sie hat sich da weiter nichts bei gedacht. Sie hat an der Seite am Feuerherd gestanden – sie hat ungefähr die Zeit gewußt, wenn der Waul gekommen ist. Dann ist der Waul an ihr vorbei gefahren – nachher hat sie die Tür wieder zu gemacht. Sie hat das bloß gehört, nicht gesehen.

Zur Universität Rostock gehört eine Wossidlo – Forschungsstelle für Europäische Ethnologie und Volkskunde, die sich mit der Forschung zum gesamten Nachlass und unter anderem mit der Digitalisierung befaßt.

Artikel aktualisiert am 09.04.2023