Auf der Büdnerei № 4a (jetzt am Waldrand 4)
von Ernst Niemann, geb. 18. Januar 1932, Landwirt auf der Büdnerei № 4a bis 2016
Der Rückblick auf das Jahr 1900. ( exakt 1913, späterer Eintrag nach Archiveinsicht) Um dieses Jahr kauften meine Großeltern Ludwig Niemann, geb. 14. August 1879 und seine Ehefrau Frieda Niemann, geb. Bohsack, geboren 12. Februar 1880 die Büdnerei. Aus der Ehe stammten zwei Kinder, Erna und Wilhelm. Erna wurde 1902 geboren und mein Vater, Wilhelm, am 15. August 1903. Mein Vater heiratete im Jahr 1925 Magda Schmidt, Tochter des Stellmachers Karl Schmidt, zuletzt wohnhaft in Groß Schwaß. Am 18. Januar 1932 wurde ich, Ernst Niemann, in Rostock geboren aber wohnhaft in Glashagen, Büdnerei 4a.
Im Jahre 1938 kam ich in Glashagen zur Schule, es wurden alle acht Klassen in einem Raum unterrichtet und Lehrer war Heinrich Buß. Er unterrichtete mich bis 1945. Bei den Nazis gab er kurz vor Kriegsende solche Parolen aus, daß wir Kinder mal nicht mehr mit dem Nazigruß grüßen sollten. Dafür wurde er verhaftet. Nach seiner Freilassung erhängte er sich. Das letzte Schuljahr (1946) wurde ich von Lehrer Schönfeld unterrichtet und entlassen. Konfirmantenstunde hatte ich in Steffenshagen zuerst bei Pastor Ehlers und 1946 bei Pastor Göde.
Nun zurück zu Großeltern und Eltern. 1914 kam Großvater als Soldat in den Ersten Weltkrieg bis 1919. In dieser Zeit musste Großmutter mit ihren zwei Kindern die Wirtschaft alleine führen. Der Viehbesatz waren zwei Kühe und vier Schweine. Ein Pferd war nicht vorhanden, die Feldarbeit wurde vom Nachbarn mit erledigt. Großvater war von Beruf Maurer und arbeitete in Arendsee und Brunshaupten, dem jetzigen Kühlungsborn. Er arbeitete bei der Erstellung der ersten großen Villen. Er mußte jeden Tag mit dem Fahrrad von Glashagen nach Kühlungsborn fahren. Neben diesen Arbeiten wurde [auf der Büdnerei] der alte Schuppen weggerissen und ein neuer Schweinestall gemauert (vor 1914) . Ein Teil des Wohnhauses wurde vermietet sowie auch ein Teil des Stalles, Mieter war Käkenmeister.
In den 1930er Jahren wurde Acker zugepachtet und es wurde gewirtschaftet. Meine Mutter war Dienstmädchen auf der Büdnerei, aber nie selbständig. Mein Vater arbeitete in der Sägerei als Gatterführer beim Bauern Brinkmann in Reddelich. Dort wurden Bretter und Sensenstreicher für einen Betrieb in Rostock (Fuhrmann) hergestellt. Nebenbei arbeitete er in dem landwirtschaftlichen Betrieb der Eltern. 1936 pachteten die Eltern in der Gemarkung Brusow Acker. Für den Zuwachs an Ernteertägen wurde eine Feldscheune gebaut. In den Jahren darauf starb der Mann von Großvaters Schwester, woraufhin wir die Büdnerei 11 mit bewirtschafteten.
Beide Büdnereien hatten je vier Hektar, also zusammen acht Hektar Ackerland und außerdem noch Gemeindeland sowie Schulzen- und Schulländereien. Der Viehbesatz war auf zwei Pferde, sechs Kühe und (?) Schweine gestiegen. Die Kühe kamen auf die Gemeindekoppel, zuerst vier und wenn das Futter knapp wurde zwei. Nun arbeitete Vater Wilhelm ständig auf der Büdnerei. Das Vieh wurde in beiden Büdnereien gehalten. Im Winter 1942 kam mein Vater zum Militär, zuerst an die Ostfront. Er kam mit Erfrierungen ins Lazarett. Nach der Genesung wurde er nach Italien versetzt.
Dort ging er bei Kriegsende in amerikanische Gefangenschaft und kam 1947 nach Hause. 1943 bekamen wir einen Arbeiter aus Weißrussland zugewiesen (bis Mai 1945). Auch ein Dienstmädchen wurde uns gestellt. Der Name des Arbeiters war Wladimir Perzunowitsch. Das Mädchen hieß Emmi Griesberg. Im Mai kam dann die Rote Armee, der Krieg war zu Ende und das Wirtschaften auch. Pferde und Wagen gingen flöten. Acker und Weide in der Gemarkung Brusow auch. Wir bekamen 1946 von der Bodenreform 4,5 ha Ackerland vom Hof Glashagen in unser Eigentum übertragen.
Im Frühjahr 1946 verstarb Großmutter Frieda am Herzschlag. Danach kam meine Mutter ans wirtschaftliche Ruder. Im Herbst 1947 kam Vater aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Im Jahre 1952 kaufte Vater vom Bauern Brinkmann Reddelich 3,5 ha Ackerland und machte sich selbständig, wegen des Ablieferungssolls, das lag zwischen drei bis fünf Hektar.
1953 übernahm ich die Wirtschaft von Großvater. Ablieferungssoll bis zehn Hektar (9,33 ha betrug meine Wirtschaft). Mein Anfangskapital waren 1.300 Mark, dann steigerte sich das Kapital durch die Überproduktion an Fleisch und Milch in Form von sog. „Freien Spitzen“, für die höhere Preise gezahlt wurden.
Im Jahr 1954 heiratete ich Liselotte Tessmann und im November wurde unsere Tochter Marita geboren.
1960 kam die Zwangskollektivierung und wir gründeten eine LPG Typ I mit Wilhelm Niemann, Herbert Steinke, Hans Uplegger, Ernst Niemann und Kurt Wachholz. Die Feldwirtschaft wurde in gemeinsamer Arbeit getätigt. Die Ackerfläche betrug betrug 45 Hektar. Wir hatten einen Traktor (Buldog) und zwei Anhänger. Ich war Brigadier und Frau Wachholz war die Vorsitzende. 1967 war auch dieses vorbei und wir gingen in die LPG Typ III.
Nun wurden wir alles los, Kühe, Pferde und Schweine, jedoch behielten wir eine Kuh und eine Sterke und eine bis zwei Sauen. Diese bewirtschaftete meine Ehefrau Liselotte. Das ging nicht lange gut, dann kamen auch die beiden Kühe weg. Schweine wurden weiter gefüttert und verkauft zu guten Preisen, denn wir bekamen von der LPG Naturalien, also Getreide und Kartoffeln.
Am 5. Januar 1965 verstarb Großvater. Ich wurde Traktorist und mußte hierfür die Fahrerlaubnis machen, obwohl ich seit 1960 eine für Motorrad und Auto hatte. Auch wurde ich zum Lehrgang geschickt und wurde Argrartechniker. Ich bestand den Lehrgan mit den Noten 2 bis 3. Nach dem Tod meines Großvaters wurde ich laut Testament Eigentümer der Büdnerei 4a. Nach zweijähriger Feldarbeit wurde ich zum Brigadier für Schweinezucht berufen. Mein Bereich war Stülow, Retschow und Glashagen. Ich war verantwortlich für 200 Zuchtsauen, 80 Jungsauen, diverse Mastschweine und Läufer. Wir wurden Ferkel- und Läuferzuchtbetrieb in der LPG. Nach zweijähriger Schulzeit in der Meisterschule Bad Doberan qualifizierte ich mich zum Meister der Schweinezucht mit der Note 2. In diesem Zusammenhang wurde ich als Aktivist der Sozialistischen Landwirtschaft ausgezeichnet.
1973 heiratete unsere Marita Karl Heinz Schüler. Am 2. August 1973 wurde Enkelsohn Janko geboren. 1977 wurde am 4. Januar Enkelsohn Daniel geboren. Am 20. Juni 1981 kam dann die Enkeltochter Anja zu Welt.
In den 1950er Jahren wurde ein Fernseher gekauft. Schwarz-weiß, kleines Format 5.000 Ostmark. Dann folgten in den Jahren noch zwei Fernseher in Farbe, der letzte im Jahre 2005.
1958 wurde ein Moped gekauft, dazu habe ein Berechtigungsschein gemacht. 1960 kam dann das erste Motorrad, Anlass zum Erwerb der Fahrerlaubnis Klasse 1 und 4 , also für Motorrad und PKW. Das erste Auto kauften wir 1967, ein Trabant 601 für 8.025 Ostmark. Das Auto wurde nach zehn Jahren für den selben Preis wieder verkauft. Vorher hatten wir uns ein Auto für 13.000 Ostmark gekauft. 1988 bekamen wir einen Trabant de luxe. 1992 kauften wir einen Lada Samara für 8.500 DM. 2006 wurde dieser durch einen Skoda Fabia für 8.200 EURO ersetzt. 1988 wurde ein alter Traktor MTS von der LPG gekauft.
Am 15. Juli 1979 erkrankte Ehefrau Liselotte sehr. Am 23. Juli 1979 war der Tag der Silberhochzeit, die Feier fiel natürlich ins Wasser. Die Krankheit dauerte acht Monate (Tuberkulose in der Wirbelsäule). In dieser Zeit bewirtschaftete mich Schwiegermutter Oma Erna.
Unsere Goldene Hochzeit wurde am 23. Juli 2004 in der Gaststätte „Versorgungspier“ in Reddelich gefeiert, ca. dreißig Personen nahmen daran teil.
Die Russen kommen.
Ende April 1945 belagerte die Deutsche Wehrmacht den Wald/das Heidenholz. Wir alle waren sehr unruhig, was wird geschehen? Kurz vor dem 1. Mai rückten die deutschen Soldaten in Richtung Wismar ab. Nun war alles ruhig, nur das Donnern der Geschütze war weit zu hören, auch einzelne Sprengungen von den Deutschen. Die Panzersperrungen wurden gar nicht erst geschlossen. In der letzten Zeitung die wir bekamen, stand als Überschrift geschrieben: „Vor Berlin wird der letzte Ansturm Ostasiens verbluten.“ Dann kamen die Panzer auf der F 105. Unser Ostarbeiter sagte, das sind Panzer amerikanski – hätte er wohl gerne gesehen. Ich sagte Vladi das ist der Russe, allein schon in der Richtung die sie fuhren von Ost nach West.
Am nächsten Tag kamen wieder einzelne russische Soldaten, wühlten Schränke durch und verlangten Uhren. Die einen kamen die anderen gingen, immer das selbe Thema. Dann begann ein Quitschen, kleine Traktoren zogen große Geschütze die an der Waldkante stationiert wurden. Als wenn der Krieg weiter gehen soll, wurden die Rohre zur Ostsee gerichtet. Diese Belagerung dauerte bis zum Monat August. In dieser Zeit wurden auch wir belagert, bei uns kamen russische Offiziere und die Feldküche, ein Wagen mit Pferden stand in der Scheune, da schlief ein russischer Soldat, der bei uns mit gegessen hat. Auf dem Wagen waren geklaute Sachen. Es war ein Ukrainer, der hatte zwei Töchter. Er hatte den Wunsch, die beiden Pferde mit zu ihm nach Hause zu nehmen, was ihm wohl nie gelungen ist.
Was wurde aus Vladimir, dem Ostarbeiter? Er konnte Russisch und Polnisch er stammte aus der Gegend von Brestlitowsk. Sein Großvater war in Amerika gewesen und hatte dort Geld verdient. Der hatte auch vorher, bevor die Russen kamen, auch noch geschrieben. Nun mit den russischen Soldaten verstand er sich gut, weniger mit den Offizieren, die haben gesungen und erzählt, auch uns hielt er die Russen vom Leibe. Er hatte in Reddelich beim Bauern Bade eine polnische Freundin. Jetzt kam das schlechte Ende. Die Russen wollten sich an seiner Freundin vergehen und nun fing er an zu Schimpfen (wie weiß man nicht). Das wurde falsch verstanden, er wurde in seinem Zimmer mit erhobenen Händen durchsucht und sofort abgeholt. Das war wohl die Geheimpolizei der Russen, auch wir wurden befragt. Einen Tag später kam die Freundin und hat Kleidung und sonstige Sachen geholt. Nun wurde es bei uns auch schlechter: Der hohe Offizier, Towaritsch Kapitan [Genosse Hauptmann], konnte nicht ein bisschen deutsch. Ich war sein Begleiter. Er nahm mich mit ins Kino. Das war die Leinwand zwischen zwei Bäumen und ich war auch sein Deutschlehrer. Das hat aber nie richtig geklappt. Denn es war bei uns in einer Stube, der Schneider wollte sich mit mir auch immer gut stehen. Dann auf einmal war Abmarsch, dafür kamen zwei alte Offiziere und machten es sich sehr gemütlich bei uns. Großmutter hat für diese gekocht, auch ein junger Dolmetscher war dabei der fließend deutsch sprach. Es war ein Student, seine Mutter war eine Deutsche. Auch diese zogen jedoch bald wieder aus. Dann wurde es schlechter für uns. Gott sei Dank, war hinter der Scheune ein Pkw stehen geblieben. Diesen haben wir Abend für Abend vor die Haustür geschoben und blieben so vor den Räubern verschont, weil diese dachten: Russischer Offizier bei deutsche Frau.
Als die Rote Armee aus Glashagen abgezog wurde Großvaters Bruder Friedrich Bürgermeister, auch zwei Dorfpolizisten Herrmann Sommer und Wilhelm Uplegger wurden eingesetzt. 1946 bekamen wir Umsiedleraus Ostpreußen in die Mietwohnung, das Ehepaar Lattok und Sohn Erich. Später kam noch der Neffe Karl dazu. Also an Arbeitskräfen mangelte es nicht. Mit ernährt wurden sie von uns. Später wanderte immer einer nach dem anderen ab. 1958 verließen auch die beiden Alten uns und zogen nach Hamburg, legal, sie konnten alles mitnehmen. 1957 wurde Mutter Magda operiert im Krankenhaus Kühlungsborn. Nach der Genesung arbeitete sie im Gaststättengewerbe Nienhagen und Heiligendamm. 1968 ging sie in Rente. Sie verstarb nach kurzer Krankheit im 84. Lebensjahr. Mein Vater folgte ihr am 3 . April 1986.
Die Wende 1989
1989 kam die Wende. Ich wurde von der LPG entlassen und bekam Altersübergangsgeld. Der Siedlungsacker wurde verpachtet an die Argrargenossenschaft, dann an Bauer Kruth. Die Büdnerei bewirtschafteten wir selber, wir hielten drei Mutterkühe. Die Kälber brachten wir zum Verkauf. Weide, Rüben und Kartoffeln wurden selbst angebaut und geerntet. Schweine und Sauen wurden gehalten. Dieses endete 1999.
Im Jahre 1998 bekam ich einen Herzinfarkt und wurde in Rostock am Herzen operiert, ich bekam vier Beypässe und kam dann in die Rehaklinik Heiligendamm. Im Jahr 2000 wurde ich in Bad Doberan, in der Urologie operiert.
Im Jahr 2007 wurde Ehefrau Liselotte operiert und bekam ein neues Hüftgelenk. Anschließend kam Sie drei Wochen in die Reha ins Moorbad Bad Doberan.
Mein politisches Leben
Mit dem zehnten Lebensjahr, wie alle bei den Nazis, gehörte ich dem Jungvolk an. Wir marschierten und übten für den Krieg, den ich damals auch gewinnen wollte, aber der Krieg ging verloren.
Nach dem Krieg war ich der Auffassung: Bloß nicht mehr marschieren!
Dann kam die Freie Deutsche Jugend, der ich zuerst zögernd beitrat sie dann aber sieben Jahre leitete. Ausgezeichnet wurde ich mit der Friedensmedaille und dem Sportleistungsabzeichen. Wir bauten einen Kulturraum, spielten Theater, feierten Erntefeste, Fasching usw. Wir hatten sogar eine eigene Kapelle zum Beispiel Akkordeon (Uplegger), Klarinette (Apulat) und Schlagzeug (Baier).
Ich nahm am Deutschlandtreffen der Jugend in Berlin teil, das zu der Zeit als Wilhelm Pieck regierte stattfand. Auch bei den Weltfestspielen Berlin, im August 1951, war ich dabei wie auch bei einer Jugend und Sportveranstaltung in Leipzig.
Weil ich nicht zur NVA (Nationale Volksarmee) gehen wollte und auch nicht konnte wegen der Landwirtschaft, wurde ich als Hilfspolizist geworben. Wir mussten an Schießübungen und Streifengänge sowie Verkehrskontrollen teilnehmen. Ich wurde 19?? Mitglied der DBD (Demokratische Bauernpartei Deutschlands), deren Vorsitzender ich war. Dort wurde ich zweiter Kreisvorsitzender, Mitglied des Bezirksvorstandes, dann Kandidat des Parteivorstandes von Berlin. Ich nahm teil an Parteitagen in Güstrow, Leipzig und Halle. In Halle habe ich auf dem Parteitag zur Diskussion gesprochen. Dann wollte ich nicht in die LPG und alles ging bergab. Von den großen Ämtern wurde ich degradiert, weil ich den Sozialismus nicht richtig verstanden hatte. Ich selbst hatte eine demokratische Anschauung. 1990 wurden von allen Mitgliedern die Parteibücher abgegeben.
Ernst Niemann, Glashagen im Oktober 2013 (Geschrieben bis Januar 2008)
Nachtrag:
Das Ehepaar Ernst und Lieselotte Niemann lebte bis 2014 in der Büdnerei. Nach dem Verkauf der Wirtschaftsflächen in Gemarkungen Retschow und Reddelich lösten sie im Jahr 2013 ihr Wohngrundstück in Glashagen auf. Sie übersiedelten in das brandenburgische Kyritz in die Nähe ihrer dort seßhaften Tochter, Enkel und Urenkel. Beide sind dort leider nach wenigen Jahren Aufenthalt verstorben. Liselotte Niemann verstarb im Februar 2o15, Ernst Niemann kurze Zeit später im Jahr 2016. Die Büdnerei ging in den Besitz der Familie von Hubertus von Jeinsen aus Reddelich über.
Letzte Aktualisierung am 5. Mai 2025